Sitten und Gebräuche aus vergangener Zeit Um den nachfolgenden Generationen die Inhalte einer vergangenen Dorfkultur aufzuzeigen und zu vermitteln, habe ich mir zur Aufgabe gemacht, diese festzuhalten  und weiterzugeben. Naturgemäß beginnt dieses Kapitel mit der Kindererziehung und Weiterführung, soweit ich mich noch erinnern kann. Kinderschule, heute Kindergarten, wurde von einer konfessionell ausgebildeten Kinderschwester geleitet. Der Sinn war, die Kinder der überwiegend landwirtschaftlich orientierten Eltern vormittags von 8 – 12 Uhr und nachmittags von 13 – 16 Uhr zu beaufsichtigen und spielerisch zu beschäftigen. Spaziergänge und erlernen von Kinderliedern für Ostern, Sommer und Weihnachten standen im Vordergrund. Im Sommer mussten die Kinder Kissen mitbringen für das Mittagsschläfchen bei großer Hitze. Auch das Brötchen und Fläschchen im Kinderschultäschchen durfte nicht fehlen – das war so der Tagesablauf.        Ab dem sechsten Lebensjahr begann die Volksschulpflicht (heute Grund- und Hauptschule) Unterricht war für 5. – 8. Klasse von 8 Uhr bis 12 Uhr, für 1. – 4. Klasse von 13 Uhr bis 16 Uhr. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass dieser Unterricht jahrelang von einem Lehrer bewältigt wurde und der Bildungsstand sich trotzdem sehen lassen konnte.  Die Ära der Lehrerfamilie Kopfmann  brachte aus dem kleinen Oberacker etwa  3o ehemalige Schüler zur Lehrerausbildungsreife.                                                                                                                                 In  meiner frühen Jugendzeit mussten sich die heranwachsenden Kinder ihre Freizeit selber gestalten. Natürlich standen das Lernen und erledigen von Hausaufgaben bei denen die Eltern noch mitwirken mussten im Vordergrund. Auch mussten  wir bevor wir auf die „Gasse“ gingen bestimmte Aufgaben in Haus, Hof oder Stall abarbeiten. Wie bereits erwähnt , mussten sich die Altersgruppen mit eigenen Ideen ihre Freizeit selbst gestalten, da es damals keine Vereine gab die Jugendarbeit anboten. Es ist erstaunlich wie er-findungsreich und kreativ die Jugend ohne besondere Hilfsmittel und komplizierte Geräte sein kann. So organisierten verschiedene Altersgruppen ihren Sport und Spiele in einer sagenhaften Vielfalt wie: Steinhüpfen, Tanzknöpfles, Federball, Schlagball, Tennisring werfen , Versteckspielen, Murmelspiele (Kleggerles), Hulahopp, Geländespiele, Häuslebauen in Feld und Wald, basteln von Bogen und Armbrust, im Frühjahr fertigen von Hupen, Pfeifen und Schalmeien aus Weidenholzrinde. Für die Regenzeit standen Schiffchen aus Kiefernrinde sowie Wasserräder auf dem Programm. Aus ausgehöhlten Holunderhölzern wurden Wasserspritzen und Knallrohre gebastelt, im Spätjahr waren Drachen und Windrätschen an der Reihe, für den Winter wurden Skier aus Fassdauben hergestellt. Also eine unerschöpfliche Kreativität der damals heranwachsenden Kinder und Jugendlichen die man heute nicht mehr vorfindet. Das selbstverständliche Denk- und Entfaltungsvermögen wird heute größtenteils von Computer, Handy und Taschenrechner abgenommen und der Mensch zum manipulierbaren  Objekt gemacht.                                                                                                             Auch die damals Erwachsenen der Überwiegend landwirtschaftlich orientierten Bevölkerung wurden mit unbezahlten Pflichtaufgaben bedacht –eine Art von  „Frondienst“.  So mussten  die Feld- und Fahrwege laufend in Ordnung gehalten werden. Dazu wurden Kalksteine an verschiedene Plätzen angefahren ,  die mit einem Steinhammer zerkleinert wurden um  danach  als Schotter eingebaut zu werden.                                                                                                                                          Genauso mussten die Wassergräben der gesamten Gemarkung zweimal jährlich geputzt und reguliert werden. Reinigungs- und Pflanzarbeiten im Gemeindewald waren auch von den Bürgern gefordert. Im Winter wurden die Straßen von Schnee freigehalten. Dies geschah mit dem  „Bahnschlitten“ , einer etwa dreieckigen Holzkonstruktion  die von Pferden gezogen wurde, Schneeverwehungen mussten mit Schaufel weggeräumt werden. Zu all diesen Diensten wurden die Männer von dem  „Polizeidiener“ (Ortsdiener) aufgefordert (geboten) und während der Arbeitszeit registriert. Die Gänseweide im Brühl oder am „Alten Weg“ bei der „Schießmauer“ mit dem Gänshirten,  der morgens mit seinem Horn die Gänse zusammentrieb und zur Gänsweide brachten gehörten ebenfalls zum Ortsalltag. Abends, nach dem öffnen der Weide, fanden die Tiere allein den Weg nach Hause. Oft geschah dies im Tiefflug durch die Ortsstraßen Auch im fortgeschrittenen Jugendstadium, zum Ende der Schulzeit, fanden Sitten und Gebräuche  ihre Fortsetzung. So entstanden Freundschafts- und Liebesverhältnisse die sich meistens im Geheimen entwickelten und immer wieder die Frage umging „wer mit wem“ ? Um Verbindungen anzuknüpfen gab es Gelegenheiten genug z.B. beim Blumensuchen und Beerenpflücken im Wald. Der Wald war für Jung und Alt das Hauptziel für Spaziergänge in den Frühlings- und Sommermonaten. In der Nacht zum 1. Mai war die gesamte männliche Jugend unterwegs um der heimlichen Liebe einen Maibaum, eine Birke, zu hauen, (Verbotener-weise) und diese vor ihrem Fenster aufzustellen. Oftmals kam es dabei zu Rangeleien wenn mehrere Liehaber zusammentrafen und so ihr Interesse an einem Mädchen offenbarten.       Eine schöne vergangene Sitte, bei der die Mütter oft neugieriger waren als die Töchter: Mädchen die sich unbeliebt gemacht hatten, bekamen ein dürres Rebenbüschel oder wenn es ganz schlimm kam, wurde Kalk gestreut.                                                                                         Dass jede Gaststätte einen ansehnlichen Baum bekam war selbstverständlich, auch schon wegen des zu erwartenden Umtrunks.                                                                                         Ein weiterer Höhepunkt des dörflichen Lebens war die Kirchweih (Kärwe) am dritten Oktoberwochenende. In allen drei Gaststätten  herrschte am Samstag, Sonntag und Montag Hoch-betrieb. Es war ein Fest an dem sich die gesamte Bevölkerung, Alt und Jung, beteiligte. Eine reichhaltige Palette von Speisen wurde angeboten, was sich das Jahr über kaum einer leistete. –vom Wildbraten, Kalbsnierenbraten  bis zu allem was das Schwein hergibt- wurde serviert und zum Schluss noch der „Kärwekuchä“. Während diesen drei Tagen musste man höllisch aufpassen, dass man mindestens einmal  in jeder Wirtschaft präsent war. Im „Adler“ wurde sogar  mit Tanzmusik zum „Kärwetanz“ eingeladen. © Emil Langendörfer, Burgweg 4, 76703 Kraichtal-Oberacker Tel. 07250-8454 Ortsspiegel von Oberacker
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